Als Führungskraft kennen Sie diese Situation wahrscheinlich: Einer Ihrer Mitarbeitenden bittet um ein Gespräch oder Sie haben ein geplantes Bila und Ihr Mitarbeiter erscheint völlig aufgelöst oder in Not. Und Sie fragen: „Wie kann ich Dir helfen?“ Sie wollen ja schliesslich eine gute Führungskraft sein oder denken: „Ich will/kann/möchte helfen!“

Müssen Führungskräfte auf alles eine Antwort parat haben?

 

Und schon sitzen Sie in der Falle: Denn jetzt wird alles bei Ihnen abgeladen. Als ich Geschäftsführerin für SBB Cargo Deutschland war, hatte ich mal so einen Mitarbeitenden. Der kam immer ungefragt. Wenn meine Tür offenstand und er sah, dass ich in keinem Gespräch war, dann legte er los, ehe ich einlenken konnte, um das Gespräch abzuwenden. Innerhalb von 20 Minuten hatte er mir sein Problem erklärt, wovon ich aber ehrlicherweise max. 50% verstanden hatte. Das machte mich nervös, weil ich keine Ahnung hatte, wie ich ihm jetzt helfen sollte. 

 

Führungskraft = Müllablade-Platz?

Beim 2. oder 3. Mal (mittlerweile hatte ich ein paar Führungsseminare hinter mir) stellte ich zum Schluss die Frage: „Und was erwartest Du jetzt von mir?“ Die Antwort meines Mitarbeiters erschütterte mich: „Ich wollte nur, dass Du das weisst. Sonst nichts.“ Aha, ich war also so etwas wie ein „Müllablade-Platz“. Na danke. Aber zumindest hatte dies offensichtlich auch seinen Nutzen für den Mitarbeitenden.

Erwartungshaltung der Mitarbeitenden einholen

 

Mit meiner Frage von damals: „Was erwartest Du von mir?“ war ich grundsätzlich schon auf dem richtigen Weg. Allerdings stellte ich sie zu spät! Diese Frage gehört unbedingt an den Anfang eines Gesprächs, in dem ein Problem (Sie dürfen es gerne auch Herausforderung nennen) mit Ihnen als Führungskraft zum Thema wird. 

 

Warum ist das so wichtig – vor allem in Zeiten des digitalen Wandels?

 

Durch die Digitalisierung wird die Datenkomplexität und -menge immer höher. Vielleicht schaffen Sie es jetzt noch, alles zu verstehen, aber die Komplexität nimmt immer mehr zu und es gibt keine einfachen oder eindeutige Entscheidungen mehr. Also braucht es das Wissen aus Ihrem Team oder noch besser aus Ihrer gesamten Organisation. Dieses Wissen muss Sie in Gänze auch nicht zwangsläufig erreichen. Es reicht aus, wenn Ihr Team sein vorhandenes Wissen zu Lösungen und Entscheidungen formuliert. Ihre Aufgabe als Chef ist es also, Ihr Team oder Ihre Organisation zu befähigen, selbst die Lösungen zu finden.

Befähigung der Mitarbeitenden

Diese Befähigung fängt bereits mit kleinen Schritten an. Und beginnt mit Ihrer persönlichen Haltung: Will ich als Chef alles vorgeben und kontrollieren oder befähige ich meine Mitarbeitenden?

Wie Ihnen die Befähigung Ihrer Mitarbeitenden, selbst die Lösungen zu finden, gelingt, stelle ich Ihnen jetzt vor.

Gesprächs-Prozess in 5 Schritten

 

1. Die Auftragsklärung

Versuchen Sie es also mal mit einer ganz kleinen Änderung: Fragen Sie am Anfang des Gesprächs: „Was wäre für Dich ein gutes Ergebnis unseres Gesprächs?“ anstatt „Was kann ich für Dich tun?“

Am besten erklären Sie den Hintergrund Ihrer Frage vorab, um irritierte Blicke Ihres Gegenübers vorzubeugen. Auch Sie selbst können Ihre Erwartungshaltung formulieren, z. B. „Ich erwarte die Lösung von Dir, helfe Dir aber gerne, diese mit den richtigen Fragen herauszufinden.“

Was passiert durch diesen anderen und überraschenden Einstieg in Ihr Mitarbeitergespräch? Sie haben den Ball zurückgeworfen! Ihr Mitarbeiter muss sich jetzt nämlich selbst nachdenken und überlegen, was er oder sie als Ergebnis erwartet. Achten Sie nun darauf, dass Ihr Mitarbeiter zu einer konkreten und positiven Formulierung seiner/ihrer Erwartungshaltung kommt.

 

Erster Schritt zur Führung im digitalen Wandel

 

Mein Tipp: Fangen Sie damit erst einmal an, denn dies bewirkt schon ein ganz anderes Setting im Gespräch. Warum? Weil Sie beginnen, Ihren Mitarbeitenden zu seiner eigenen Problemlösung hinzulenken.

Wenn Sie noch ein paar Schritte weiter gehen möchten, dann lesen Sie weiter. Die nächsten Schritte in dem Gesprächs-Prozess sind: 

 

  1. Auftragklärung (siehe oben)
  2. Systemcheck
  3. Problemerforschung
  4. Lösungsentwicklung
  5. Abschluss des Gesprächs

 2. Der Systemcheck

 

Versuchen Sie nun als nächstes herauszufinden, wer und was alles mit dem System zu tun hat. Wo liegen die Grenzen des Problems Ihres Mitarbeitenden?  Wer ist wo verantwortlich? Wer führt was und wo? 

Das Ziel hier ist noch nicht die Lösung als solches. Zunächst helfen Sie Ihrem Mitarbeitenden klar zu werden und das Problem einzugrenzen. Welche Personen und Themen liegen innerhalb klarer Grenzen und was liegt ausserhalb? Ihnen selbst wird es ebenfalls helfen, das Thema und auch Ihre persönliche Zeit einzugrenzen. Sonst wird das Gespräch vielleicht zu ausufernd. Mein Mitarbeiter von früher verlor oft den Pfaden und erzählte von ein paar Nebenkriegsschauplätzen, die aber eigentlich gar nicht relevant waren.

 3. Die Problemerforschung

 

Wichtig: Lassen Sie sich das Problem an sich gar nicht erklären! Sondern fragen Sie stattdessen: 

„Wann und wo tritt das Problem auf?“ oder 

„Welche Erklärungen gibt es für das Problem?“ oder 

„Wo zeigt sich das Problem und wo nicht?“ 

Eine Lieblingsfrage von mir ist: „Was würde sich für die Beteiligten ändern, wenn das Problem gelöst wäre?“ Denn häufig gibt es ja auch Nutzniesser von Problemen!

4. Die Lösungsentwicklung

 

Es gilt immer noch: Sie lösen nicht das Problem! Es geht vielmehr darum, bestimmte Muster zu erkennen, z.B. in der Beziehung zwischen den Beteiligten. Dafür ist es immer gut, wenn eine andere Sichtweise eingenommen werden kann. Mögliche Fragen sind daher: 

„Welche Ideen würde Ihr Kollege einbringen?“ oder 

„Wann war das Problem gar nicht, weniger häufig, weniger intensiv vorhanden?“ 

Die Verschlimmerungsfrage 

Meine Lieblingsfrage hier ist jedoch die Verschlimmerungsfrage: „Angenommen, Sie wollten Ihr Problem bewusst verschlechtern, wie würden Sie das am ehesten schaffen?“ Meine Erfahrung mit dieser Frage ist: Irritation und Schweigen. Und interessanterweise kommt statt einer Verschlimmerung plötzliche eine Lösung, obwohl danach ja gar nicht gefragt wurde. Mir scheint die Verschlimmerung löst so viel Stress aus, dass die Beschäftigung mit der Lösung einfacher erscheint.

5. Abschluss

 

Zum Schluss gilt, es das Gespräch abzuschliessen. Lassen Sie sich erzählen, wie nun die nächsten Schritte aussehen. Oder fragen Sie: „Wann werden die heutigen Ideen umgesetzt?“

Und fragen Sie sich persönlich: „Wie habe ich das Gespräch erlebt?“ oder „Wie fühle ich mich jetzt?“ Was war möglicherweise anders zu Gesprächen von früher? Fragen Sie auch Ihren Mitarbeitenden, wie er das Gespräch erlebt hat. Hat eine Veränderung stattgefunden? Und wenn ja, welche? Möglicherweise fühlen Sie sich beide durch die Art der Gesprächsführung kompetenter und erkennen Ihre Stärken mehr? Probieren Sie es selbst aus. Sie werden sehen, die Änderung der Gesprächstechnik kann wahre Wunder bewirken…